Schwierige Gefühle im Wochenbett: Wut, Wehmut und Hilflosigkeit

Linda Rasumowsky ist Psychotherapeutin in der Schweiz und ist auf die psychische Gesundheit rund um die Geburt eines Kindes und das Elternsein spezialisiert. Sie ist selbst Mutter von drei Kindern und spricht heute mit uns über Gefühle, die nach einer Geburt eher selten besprochen werden, aber völlig ok sind: Wut, Wehmut und Hilfslosigkeit.

 

Liebe Linda, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, mit uns über die verschiedenen Gefühle im Wochenbett zu sprechen. Du hast selbst zwei Kindern und bist gerade schwanger mit dem Dritten. Kannst du dich noch an deine eigenen Gefühle in den Wochenbetten erinnern?

Linda: Ich erinnere mich vor allen Dingen an die Intensität der Gefühle. Daran, ich insgesamt viel und stark gefühlt habe und auch eine Art Überwältigung oder Überreizung da war, durch das permanente Involviertsein. Es gibt oft keine Pausen. Gleichzeitig habe ich Hilfsbedürftigkeit empfunden, ich brauchte zum Beispiel Unterstützung bei der Versorgung des Babys oder beim Kochen und das kannte ich so nicht aus meinem Erwachsenenleben. Neben diesen eher schwierigen Gefühlen war da aber auch eine starke Freude, fast Euphorie über diese Kinder. Also viele Gefühle gleichzeitig.

 

Oh ja, daran können wir uns auch noch erinnern – dieses fast überschnappen vor Freude. Und daneben auch Gefühle wie Wehmut, Wut, Einsamkeit, Traurigkeit und Angst, die wir so nicht unbedingt erwartet hatten. Sicher auch, weil wir einfach nicht wussten, dass es diese Gefühle nach der Geburt gibt. Warum glaubst, wird so wenig über diese anderen Gefühle gesprochen, vor allem bei Müttern?

Ich glaube, dass wir ein eher einseitiges Bild von Mutterschaft haben, das vor allem gesellschaftlich geprägt ist: die glückliche, strahlende und, dankbare Mutter. Alles andere hat keinen Platz. Entsprechend werden uns auch Erwartungen ans Wochenbett mitgegeben, nämlich dass alles rosig sein wird. In Filmen, in Erzählungen, in der Werbung. Aber die die Realität entspricht dann häufig nicht diesen Erwartungen und dann wird es schwierig. Schwierig, weil vor allem Mütter schnell das Gefühl haben, dass etwas nicht mit ihnen stimmt und dass sie womöglich die einzige Mutter sind, die so empfinden. Das löst dann manchmal sogar eine Art Teufelskreis aus – denn die Mutter, die denkt, dass sie die einzige mit diesen schwierigen Gefühlen ist, spricht nicht darüber. Und festigt so das Tabu.
Darum ist eine große Motivation für meine Arbeit, dass wir mehr darüber sprechen. Dass es normaler wird über schwierige Gefühle zu sprechen und diese zu benennen. Ich sage übrigens gerne „schwierige Gefühle“, nicht unbedingt negative Gefühle. Negativ ist eine so starke Bewertung, dabei können diese Gefühle auch positiv sein, weil sie mir Signale dafür senden, was vielleicht gerade fehlt oder wo meine Bedürfnisse nicht gut erfüllt sind.

 

Danke für diesen wichtigen Impuls. Wir wollen nun drei dieser schwierigen Gefühle etwas näher besprechen. Und den Anfang macht Wut. Weil Wut aus unserer Sicht eines der Gefühle ist, die im Kontext Mutterschaft eigentlich gar keinen Platz haben. Wenn wir schwierige Gefühle nun also auch als Warnsignale verstehen: warum sind Menschen im Wochenbett dann wütend? Was zeigt das an?

Tatsächlich ist es so, dass Wut bei Frauen stärker stigmatisiert ist als bei Männern. Und die wütende Mutter ist da tatsächlich noch eine Stufe weiter, das ist in den Augen vieler Menschen kaum zu akzeptieren. Dabei ist Wut ein wichtiges und starkes Signal dafür, dass etwas nicht stimmt. Zum Beispiel dafür, dass körperliche oder psychologische Grundbedürfnisse sehr schlecht erfüllt sind. Natürlich können wir eine Zeit lang vieles wegstecken und über einen gewissen Zeitraum müde sein oder weniger Abwechslung im Alltag haben. Wenn das aber zu lange anhält und wir uns nicht gesehen und verstanden fühlen, vielleicht ein körperliches Unwohlsein dazu kommt, weil wir nicht genug trinken, essen oder schlafen und wir auch nicht das Gefühl haben, dass wir ohne Unterstützung etwas ändern können, unser Selbstwirksamkeitsgefühl also leidet, dann kommt die Wut. Oder auch wenn Grenzen überschritten werden oder wir unsere eigenen persönlichen Grenzen einfach nicht gut wahren können, weil vielleicht auch zu wenig Energie dafür vorhanden ist oder uns die Strategien fehlen, wie wir das tun können. Im Wochenbett ist das klassisch der unangekündigte Besuch, der bewirtet werden will und nicht wieder geht. Wenn uns da Bewältigungsstrategien fehlen, Kommunikations-Skills, Unterstützung oder schlicht die Kraft, dann sind das Situationen, in denen wir unseren persönlichen Raum nicht schützen können – was zu wütenden Gefühlen führen kann.
Es kann aber auch sein, dass andere Gefühle nicht hilfreich verarbeitet werden können, zum Beispiel Einsamkeit. Wenn wir uns einsam fühlen, aber dem nicht gut begegnen können. Da kommt zum Beispiel der*die Partner*in abends nach Hause und erzählt freudig von seinem interessanten Lunch mittags mit den Kolleg*innen. In diesen Situationen kann es gut sein, dass unverarbeitete und unbeachtete Einsamkeit in Wut explodiert. Weil bei uns etwas stark zu kurz kommt und das vielleicht vermiedene Gefühl nicht den Raum bekommt, den es vielleicht bräuchte, um gut bewältigt zu werden. Natürlich ist jedes Wut-Empfinden individuell, aber im Allgemeinen ist es im Kontext Wut wichtig, die eigenen Bedürfnisse zu beachten, darauf zu hören und sie zu erfüllen.

 

Neben Wut empfinden viele Eltern tatsächlich auch Wehmut und vermissen ihr altes Leben. Oder Sie vermissen vielleicht auch etwas, von dem Sie dachten, dass es kommen würde: zum Beispiel, dass sie völlig aufgehen in der Mutterrolle. Wie verbreitet ist dieses Gefühl? Und wie, glaubst du, kann man gut umgehen mit diesem Vermissen?

Ein Kind zu bekommen ist eine sehr große Lebensveränderung. Und dabei ist es oft auch notwendig, die Strategien zur Erfüllung der eigenen Bedürfnisse zu verändern. Zum Beispiel das Gefühl von Zugehörigkeit durchs Essengehen mit Freunden oder die Entspannung beim Sport. Diese Strategien zur Erfüllung der eigenen Bedürfnisse in den neuen Alltag zu integrieren, werden stark herausgefordert oder fallen, zumindest kurzzeitig, komplett weg. Das ist Traurigkeit ja fast zu erwarten, denn ich kann etwas, das ich wirklich gerne mache, gerade nicht tun. Dass hier Wehmut aufkommt, kann für den Anpassungsprozess in die neue Rolle sehr gesund sein und ist überhaupt kein Zeichen dafür, dass etwas nicht stimmt.
Das heißt aber natürlich auch nicht, dass man traurig sein muss. Wie stark dieses Gefühl ausschlägt, hängt auch davon ab, wie das Leben vor dem ersten Kind ausgesehen hat. Und wie gut das neue Elternleben zu den eigenen Bedürfnissen passt. Denn es gibt auch es gibt auch natürlich Menschen, die komplett darin aufgehen, für einen kleinen Menschen zu sorgen.
Und für andere ist das der totale Autonomieverlust. Aber auch hierüber wird wenig gesprochen: Wenn ich mir dieses Thema mit meinen Klientinnen anschaue, dann ist da oft Erstaunen. Darüber, dass man traurig sein darf, obwohl da doch jetzt das neue großartige Baby ist, über das man sich doch freuen soll. Dabei ist beides möglich, sogar gleichzeitig! Wir können uns über ein Kind freuen und trotzdem auch traurig sein über Verlust.

Ein drittes Gefühl, über das wir sprechen wollen, ist Hilflosigkeit. Das kann beim ersten Schreianfall auftreten, wenn dieser eine Moment kommt, in dem das Kind schreit und nichts hilft. Man wickelt, man stillt. Macht alles. Und das Kind schreit einfach weiter, völliger Wahnsinn. Oder eine andere Situation: Es kommt vielleicht Besuch und man möchte eigentlich gar nicht, dass Besuch kommt - ist aber in der vulnerablen Situation im Wochenbett gar nicht in der Lage, irgendetwas zu sagen, sich durchzusetzen. Was rätst du Eltern, die so ein Gefühl von Hilflosigkeit im Kontext Wochenbett erleben?

Ja, genau, da ist so viel, was hilflos machen kann in dieser ersten Zeit, erstmal meist ein sehr unangenehmes Gefühl. Aus psychologischer Sicht geht es hier meist darum, das Gefühl erstmal anzunehmen und nicht als negativ abzuwerten. Mit sich selbst Mitgefühl zu haben und zu versuchen, für dich zu sorgen – wie man es vielleicht tun würde, wenn sich ein anderer Mensch hilflos fühlt. Aber das ist natürlich leichter gesagt als getan. Denn in der Realität geht das nicht immer super geschmeidig, gerade in Situationen der Veränderung - und das ist das Wochenbett ja absolut.
Weil Hilfslosigkeit aber auch oft mit dem Gefühl eingeht, dass ich mir selbst nicht richtig helfen kann, kann hier eine Strategie sein, ein Stück aus der Realität herauszugehen. Sich zum Beispiel vorzustellen, dass man einen Wunsch frei hätte, so als würde eine Fee kommen oder ein Wunder geschehen. Auch wenn der so formulierte Wunsch sicher nicht immer sofort und vollständig umsetzbar ist, ist es doch eine Möglichkeit das Spektrum der Bedürfnisse aufzumachen und aus den Schranken der aktuell belastenden Situation herauszutreten. Er kann Anhaltspunkt dafür sein, was uns gerade guttun würde. Und aus dem Wunsch lassen sich womöglich kleinere Schritte ableiten, die umsetzbar sind und uns der Erfüllung eigener Bedürfnisse näherbringen.

 

In deiner Arbeit geht es ja im Kern darum, die Bedürfnisse von Müttern und Vätern in den Fokus zu nehmen – etwas, das gerade vor dem Hintergrund der heutigen, oft bedürfnisorientierten, Erziehungsmethoden in den Hintergrund gerät. Weil bedürfnisorientiert oft so verstanden wird, dass es nur um die Bedürfnisse des Kindes geht. Aber es geht eben auch darum, eigene Bedürfnisse zu respektieren, zu schützen und möglichst zu erfüllen. Warum ist das aus deiner Sicht so zentral?

Ja, das ist eigentlich ganz simpel: weil unsere psychische Gesundheit stark mit der Erfüllung unserer eigenen psychischen Grundbedürfnisse zusammenhängt. Und natürlich sind wir gewissermaßen flexibel - aber wir können nicht über lange Zeit auf alles verzichten. Darum kann es sich so lohnen, selbst die eigenen Bedürfnisse im Blick zu haben, im besten Fall auch schon ohne akute Belastung. Denn da haben wir viel mehr Möglichkeiten und Ressourcen, um auf unsere psychischen Grundbedürfnisse zu achten.
Darum kann es sich zum Beispiel vor einer Geburt lohnen, die eigenen Bedürfnisse kennen zu lernen. Wenn ich vor der Geburt schon weiß, welche Dinge für mich ganz besonders zentral sind, kann ich mir auch da schon Strategien überlegen, wie ich diese Bedürfnisse auch mit einem kleinen Baby erfüllen kann. Denn das Wochenbett ist einfach eine sehr herausfordernde Zeit für die psychische Gesundheit. Nicht umsonst ist die Zeit rund um die Geburt ist im Leben einer Frau mit dem höchsten Risiko verbunden, an einer psychischen Erkrankung zu leiden oder zu erkranken. Und da finde ich, kann es sich sehr lohnen präventiv zu arbeiten und sich wirklich mit dem Thema zu befassen.

Vielen Dank für das offene Gespräch, Linda!

 

Linda Rasumowsky betreut Mütter, Väter und Paar auch online. Ihr Angebot findet ihr auf mentalwellmom.com.

 

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