"Das entmenschlichende Bild, der stärkeren, Schwarzen und Braunen, dick_fetten Frau muss aufgebrochen werden."

Yassamin-Sophia Boussaoud, genannt Mino, ist 33 Jahre alt, lebt in München und ist pädagogische Mitarbeiter*in und Autor*in. Mino ist eine deutsch-tunesische, queere, fette, nicht-binäre Person und gerade zum dritten Mal schwanger. Mino berichtet the weeks in diesem Interview von diskrimierenden Erfahrungen aufgrund von Rassismus und Fettfeindlichkeit und erzählt, warum das Outing als nicht-binär oft gar keinen Raum in der Geburtshilfe hat.

Hallo Mino! Vielen Dank, dass du dir heute Zeit nimmst und uns von deiner Erfahrung als schwangere, queere, rassifizierte und von Fettfeindlichkeit betroffene Person erzählst. Bevor wir in die Themen einsteigen, wäre es toll, wenn du dich einmal kurz für unsere Leser*innen vorstellen könntest.

Hallo! Danke, dass ich in dem Rahmen darüber sprechen darf. Ich heiße Yassamin-Sophia Boussaoud, werde Mino genannt. Ich bin aus München, 33 Jahre alt, verheiratet, hab zwei Kinder im Teenager Alter und bin jetzt aktuell im dritten Trimester schwanger. Ich bin pädagogische Mitarbeiter*in, Autor*in - im Herbst erscheint mein Verlagsdebut bei Haymon und auf @minoandtheirchaos teile ich Ausschnitte aus meinem Leben als deutsch-tunesische, queere, fette, nicht-binäre Person.

Gerade im Kontext Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett finden Annahmen darüber und damit einhergehende Diskrimierungen auf Basis von Sexismus, Rassismus, Ableismus und Fettfeindlichkeit in einem so unglaublichen Ausmaß statt, dass wir hier gar nicht wirklich wissen, wo wir beginnen sollen. Darum starten wir mal ganz breit: Uns würde wirklich sehr interessieren, wie dir Menschen im Gesundheitswesen (Hebammen, Gyns, Personal in Kliniken, etc.) als mehrfach diskriminierte Person begegnen?

Das ist ein sehr großes Thema für mich in der Schwangerschaft. Weil es ist einfach eine Zeit, in der man komplett auf diese Menschen angewiesen ist. Ich kann schlecht sagen "Ja okay, jetzt ist di*er Ärzt*in nicht so gut - ich kurier mich zu Hause aus". Hier geht es um mein Leben und das meines Babys. Und mir ist bewusst, dass Gynäkologie und Geburtshilfe für alle Frauen und Menschen mit Uterus nicht ausreichend sicher sind. Für rassifizierte, Schwarze, Braune, queere, behinderte und dick_fette Menschen kommen noch zusätzliche Aspekte an Unsicherheiten hinzu. Grundsätzlich begegnet mir medizinisches Personal mit großer Skepsis meinem Körper gegenüber und trauen mir sehr wenig zu. Das fängt an bei der Überraschung, dass meine Schwangerschaft ohne Kinderwunschbehandlung entstanden ist, geht über die Unterstellung, ich könne nicht gesund sein, bis hin zur Annahme, dass ich sicherlich einen Wunschkaiserschnitt möchte. Dass ich als fette, rassifizierte Person eine selbstbestimmte Schwangerschaft und Geburt anstrebe und gut für mich sorgen kann, verwundert sie. Als nicht binär geoutet habe ich mich aktuell bei niemandem in diesem Bereich. Rassismus und Fettfeindlichkeit nehmen so viel Raum ein, dass ich mich letztendlich nicht traue auch noch das anzusprechen. Ich bin froh, wenn medizinisches Personal einigermaßen respektvoll mit mir umgeht.

Ich hatte in dieser Schwangerschaft zwei kurze Klinikaufenthalte. Bei beiden wurde ich mit türkisch, kurdisch, albanisch und Farsi sprechenden Menschen in ein Zimmer untergebracht mit der Bitte zu übersetzen. Ich bin deutsch-tunesisch und spreche natürlich keine der anderen Sprachen. Zudem sollte es nicht meine Aufgabe sein. Es gab auch mehrere Situationen, in denen mir einfach wortlos Medikamente hingestellt wurden, oder versucht wurde, mir ohne jede Erklärung eine Spritze zu geben. Auf Nachfrage kam dann ein "Wegen ihrem Gewicht". Sobald ich dann klar mache, dass ich durchaus verstehe, was notwendig ist und was lediglich Fettfeindlichkeit geschuldet und dadurch, dass ich sprachlich auf jeden Fall privilegiert bin, entschuldigen sich Ärzt*innen dann bei mir. Ich frage mich jedes Mal was wäre, wenn ich das nicht könnte. Es ist insofern tragisch, weil die Klinik in der ich entbinden werde sich als einen der "sichersten Orte weltweit für Mutter und Kind" sieht. Ich glaube, dass sie was ihr Equipment angeht sehr gut ausgestattet sind. Ein gutes, sicheres Gefühl geben sie mir als rassifizierte, fette schwangere Person definitiv nicht. Die Möglichkeit in einem Geburtshaus zu gebären habe ich aufgrund meines BMIs leider nicht. Und es ist auch gut möglich, dass mir nicht gestattet wird, eine Wassergeburt, die ich mir sehr wünsche, zu haben. Viele Ärzt*innen und Hebammen sehen den höheren BMI als absolutes Ausschlusskriterium. Unabhängig davon, ob die schwangere Person gesund ist und die Schwangerschaft komplikationslos verlief.

Und ganz konkret zu deinem Schutz: Hast du Wege und Unterstützung gefunden, diese Begegnungen ggf. vorzubereiten oder mit ihnen umzugehen? Hast du die Möglichkeit, von für Mehrfachdiskrimierung sensibiliserten Fachkräften betreut und behandelt zu werden?

Ich muss sagen, dass ich das große Glück habe, eine Gynäkologin gefunden zu haben, die sensibel mit dem Thema Fettfeindlichkeit umgeht. Das ist nicht selbstverständlich. Ich hab in dieser Schwangerschaft durch eine ausgeprägte Hyperemesis [schwere Übelkeit und Erbrechen während der Schwangerschaft, Anmerkung the weeks] in kurzer Zeit viel abgenommen und es gibt Ärzt*innen, die mich dafür loben. Meine Gynäkologin ist da anders - sie hat gleich nachgefragt, ob ich absichtlich versuche abzunehmen und mir erklärt, dass das in einer Schwangerschaft nicht empfohlen ist, dass ich zunehmen darf. Und sie ist wirklich die Ausnahme. Ich hatte auch das Glück, eine Schwarze Hebamme zu finden. Was mir sehr wichtig war. Das ist eine Person, die zu mir nach Hause kommt, in so einem verletzlichen Setting wie dem Wochenbett. Das war meine Priorität, dass wir uns da nicht auch noch Gedanken über Rassismus machen müssen. Ansonsten tausche ich mich viel auf Instagram mit rassifizierten und von Fettfeindlichkeit betroffenen schwangeren Menschen, Müttern und nicht binären Elternteilen aus. Das tut sehr gut und bestärkt mich darin zu verstehen, dass nicht ich das Problem bin, sondern ein System dahinter steckt.

Du bist jetzt gerade schwanger, hast aber auch bereits Kinder im Teenager-Alter - wo siehst du die gravierendsten Unterschiede zu deinen früheren Schwangerschaften, was ist womöglich noch schwieriger geworden - und gibt es aus deiner Sicht auch Dinge, die sich in den letzten Jahren verebssert haben?

Bei meinen ersten beiden Kindern war ich 17 und 21. Zu dem Zeitpunkt sind Ärzt*innen an einigen Stellen viel lockerer mit mir umgegangen. Rückblickend habe ich das Gefühl es war ein bisschen so "Ach so ein junger Körper steckt das problemlos weg". Mir wurde kaum Diagnostik nahegelegt, kein Diabetestest und ich hatte nur wenige Ultraschalluntersuchungen. Jetzt mit 33 kam immer wieder das Risiko für chromosomale Anomalien zur Sprache, mir wurden Feindiagnostik und Tests nahegelegt. Neuere Studien zur Präklampsie Prophylaxe wurden mir erklärt, ich habe Magnesium und ASS bekommen. Es werden häufiger Ultraschalluntersuchungen durchgeführt.

Das kenne ich von den vorherigen Schwangerschaften so nicht. Es hat sicherlich seine Vorteile, so engmaschig und gründlich untersucht zu werden. Ich frage mich allerdings, ob das so auch mit dünneren Menschen in meinem Alter gemacht wird. Paradox ist, dass ich zwar engmaschiger untersucht werde, meine Beschwerden aber dennoch nicht ernst genommen werden. Die starke Hyperemesis ist bei einer fetten, Braunen Person dann nicht so schlimm. Hier spielt die Verknüpfung von Fettfeindlichkeit und Rassismus und die damit einhergehenden, entmenschlichenden Annahmen von besonderer Stärke und Durchhaltevermögen eine große Rolle.

Was sich verbessert hat ist, dass ich durch mein Alter und meine Erfahrungen nun ein bisschen besser darin bin zu sagen was ich möchte und nicht möchte, ich bin besser darin, nachzufragen und Grenzen zu setzen. Das gibt mir insgesamt etwas mehr Sicherheit. Und trotzdem bin ich manchmal unsicher, traue mich nicht nochmal nachzufragen.

Was glaubst du, müsste im Kontext Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett passieren, um Diskriminierungen wirksam bekämpfen zu können?

Die Gynäkologie und Geburtshilfe sowie die Nachsorge ist wie jeder unserer Lebensbereiche stark geprägt von Misogynie, Rassismus, Fettfeindlichkeit und Behindertenfeindlichkeit. Auch für weiße cis Frauen sind diese Bereiche nicht ausreichend sicher. Es gibt nicht ohne Grund den Roses Revolution Day am 25. November, der sich explizit der Gewalt in der Geburtshilfe widmet. Natürlich ist dieser medizinische Bereich für mehrfach marginalisierte Menschen noch weniger sicher. In den USA ist die Sterblichkeitsrate bei Schwarzen Müttern drei Mal so hoch wie bei weißen.

Die Forschung in der Gynäkologie und Geburtshilfe basiert zu weiten Teilen auf der Gewalt gegen Schwarze, Braune und indigene Menschen, insbesondere Frauen, während der Kolonialzeit. Weiße Geburtsmedizin war lange nicht so weit fortgeschritten. Heute weiß man zum Beispiel, dass in Uganda, dem Kongo und in Tansania Kaiserschnitte seit mindestens dem 18. Jahrhundert erfolgreich durchgeführt wurden. Dennoch wird diese medizinische Praxis hauptsächlich als europäische Errungenschaft gesehen. Um Gynäkologie und Geburtshilfe sicherer für rassifizierte Menschen zu gestalten, letztendlich sicherer für alle, wäre ein Ansatz notwendig, der den westlichen und eurozentrischen Blick radikal hinterfragt und aufbricht. Mediziner*innen müssen verstehen, dass viele Erkenntnisse die sie heute nutzen können, auf Kolonialverbrechen zurückzuführen sind. Es ist dringend notwendig, dass medizinisches Personal regelmäßig geschult wird in den Themenbereichen Rassismus, Fettfeindlichkeit und Ableismus. Das entmenschlichende Bild, der stärkeren, Schwarzen und Braunen, dick_fetten Frau muss aufgebrochen werden. Ärzt*innen und medizinisches Personal müssen verstehen, dass uns das viele Komplikationen ersparen könnte und letztendlich Leben retten kann.

Welchen Rat würdest du anderen mehrfach diskriminierten Einzelpersonen oder Paaren geben, die darüber nachdenken, eine Familie zu gründen oder eine Schwangerschaft zu bewältigen?

Auf jeden Fall den, für sich einzustehen. Wenn dir ein*e Ärzt*in bei einem Termin ein ungutes Gefühl gibt, darfst du gehen. Ich war ganz zu Beginn meiner Schwangerschaft bei einer anderen Gynäkologin und hab mich so unwohl und unsicher gefühlt und habe mich getraut zu gehen - das war die beste Entscheidung. Natürlich ist das nicht einfach und in der Klinik nicht ohne weiteres möglich. Wenn es möglich ist, dann darfst du an der Stelle für dich sorgen. Besonders für queere, trans* und nicht binäre trans* Personen: Du darfst einen Kinderwunsch haben, darfst Elternteil sein wollen. Das spricht dir deine Queerness nicht ab. Du bist valide, mit all dem was du dir wünscht. Und es ist vollkommen in Ordnung, wenn das etwas näher am gesellschaftlichen Ideal ist. Du darfst so sein, wie es für dich gut ist. Für rassifizierte Menschen: Weiße Menschen werden sich über deine Schwangerschaft sehr wahrscheinlich nicht so freuen, du wirst feindselig angestarrt werden und Rassismus wird noch mehr Raum einnehmen. Es kommt häufiger vor, dass mir fremde Menschen in beispielsweise öffentlichen Verkehrsmitteln im Vorbeigehen "Muss das sein? Von euch gibt's schon genug!" mitgeben, mich anrempeln. Als mehrfach marginalisierte Person sind Schwangerschaft und Mutterschaft, Elternschaft krass. Krasser als es ohnehin der Fall ist. Deswegen ist es wichtig zwischen all dem Chaos, der Einsamkeit und den schmerzhaften Erfahrungen nicht zu vergessen, dass da in deinem Bauch die allerschönste, kleine Revolution ist.

Mino, vielen Dank für deine Zeit und die Offenheit. Alles Gute für dich!

Mino findet ihr hier auf Instagram.

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